Optimeriung der Wettkampfleistung III

Die psychologische Perspektive: Stress – das Resultat personeninterner Bewertungsprozesse

Nachdem im vorherigen Blogeintrag die körperlichen Stressreaktionen kurz beschrieben wurden, drängt sich die Frage auf, was denn eigentlich eine derartige Stressreaktion auf physiologischer Ebene auslösen kann. Allgemein ist zunächst zu unterscheiden zwischen Belastung und Beanspruchung. Der Begriff der Belastung kommt eigentlich aus der Physik und meint einen ganz bestimmten Druck, der auf ein bestimmtes Material ausgeübt wird. Insofern liegt hier auch der Begriff, „sich unter Druck“ zu fühlen, ganz nahe. Abgegrenzt wird der Begriff der Belastung vom Begriff der Beanspruchung. Beanspruchung ist das jeweilige Erleben dieser Belastung.

Das bedeutet: Eine Belastung ist interindividuell gleich groß, wird allerdings von unterschiedlichen Menschen ganz anders erlebt: Sie erleben sich unter gleichen Belastung unterschiedlich beansprucht (Eberspächer, 2007).

Transaktionale Stresstheorie nach Lazarus

Deutlich wird dieser Unterschied auch in dem sehr nah verwandten Stresskonzept um die Arbeitsgruppe von Lazarus. Dieses Modell beschreibt die Entstehung von Stress als Resultat von verschiedenen personeninternen Bewertungsprozessen. Das heißt zunächst, dass ein und das gleiche Ereignis von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Ob eine wahrgenommene Situation als Bedrohung oder Herausforderung interpretiert wird, hängt dabei mit der individuellen Einschätzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen zusammen. Fühlt sich ein Mensch einer Situation gewappnet, wird er sich weit weniger gestresst oder beansprucht erleben als ein Mensch, der völlig unvorbereitet in einer vergleichbaren Situation handeln muss: Ein und dieselbe Belastung führt individuell zu ganz unterschiedlich erlebten Beanspruchungen.

Transaktionale Stresstheorie von Lazarus

Anhand des oben abgebildeten Modells wird zunächst deutlich, dass Stress sich nicht in der Umwelt abzuspielen scheint, sondern ein personeninterner Prozess ist. Psychologischer Stress beruht demnach auf der Einschätzung des betroffenen Individuums, ob die jeweilige Person-Umwelt-Beziehung als herausfordernd, bedrohlich oder schädigend einzustufen ist. Die kognitive Bewertung (appraisal) wird somit zum zentralen Faktor von dem Stressgeschehen. Im Moment der kognitiven Bewertung ist der Stresszustand gegeben (Alfermann/Stoll, 2007).

Diese kognitive Bewertung (cognitive appraisal) wird in zwei Bewertungsprozessen unterschieden, die prinzipiell zeitgleich ablaufen und entscheiden ob die gegebene Situation eine Stressreaktion auslöst: Zuerst wird in einer ersten Bewertung (primary appraisal) die Frage geklärt, ob die Situation eine Bedrohung darstellt. Dies hängt natürlich entscheidend von der zweiten Bewertung (secondary appraisal) ab, bei der nach Ressourcen zur Bewältigung der wahrgenommen Situation gefragt wird. Erst wenn für eine Situation keine entsprechenden Ressourcen zur Bewältigung gesehen werden, wird sie als bedrohlich eingeschätzt.

Für das Stresserleben sind daher nicht objektive Parameter der Umwelt entscheidend, sondern allein die Tatsache, dass die Person selbst die Situation als unkontrollierbar wahrnimmt. Der erlebte Stress hängt somit sehr stark von unserer persönlichen Einschätzung der Situation ab. Die persönliche Bewertung entscheidet darüber, was uns stresst. Wenn wir in einer konkreten Stresssituation das Verhalten unterschiedlicher Menschen erleben, wird oft sehr schnell deutlich: Belastungen werden von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich erlebt und eingeschätzt, rufen unterschiedliche Reaktionen hervor und werden auf die unterschiedlichste Art und Weise bewältigt. Was für den einen Menschen eine Steigerung der Lebensfreude bedeutet, kann für einen anderen als sehr unangenehm und belastend empfunden werden. Schließlich erfolgt eine Neubewertung (reappairsal). Dabei schäzt die Person primär und sekundär ein, entscheidet sich für eine Handlung und verfolgt das Ergebnis, um dies wiederum neu zu bewerten.

Entscheidend ist allein unsere ganz persönliche Bewertung der Situation, das heißt, dass wir die Situation so erleben, wahrnehmen und interpretieren. Und dies ist immer abhängig von zur Verfügung stehenden Bewältigungsressourcen und auch entsprechenden Erfahrungen, vergleichbare Situationen bereits erfolgreich bewältigt zu haben oder auch nicht. Selye sprach in diesem Zusammenhang auch von Eustress versus Distress. Eustress welcher auch als positiver Stress bezeichnet wird, entsteht wenn die Anforderungen in Einklang mit den individuellen Ressourcen gesehen wird. Gefühle der Herausforderung dominieren die Situation. Distress oder negativer Stress dagegen entsteht, wenn die Anforderungen nicht in Einklang mit den zur Verfügung stehenden individuellen Ressourcen stehen. Hieraus resultieren Gefühle der Angst, Verzweiflung oder Panik.

Aus den vorherigen Überlegungen zu physiologischen und psychologischen Aspekten der Stressreaktion ergeben sich erste Schlussfolgerungen für die Wettkampfvorbereitung:

  • Der Sportler muss zur Mobilisierung seiner maximalen Leistungsfähigkeit ein gewisses Niveau an Stress erleben. Dies ist natürlich in Abhängigkeit von den verschiedenen Sportarten unter Umständen sehr differenziert (z.B. Sportschützen im Vergleich zum Boxen). Prinzipiell ist diese akute Stressreaktion als leistungsförderlich einzustufen.
  • Die entsprechenden Körpersignale (beschleunigter Puls, feuchte Hände etc.) sind nicht als Zeichen von Nervosität und Schwäche zu bewerten, sondern willkommene Signale des Körpers, dass für Spitzenleistung erforderliche Mobilisation der Körperfunktionen.
  • Die Mobilisierung der Körperfunktionen ist nur begrenzt lange aufrechtzuerhalten – dann wird aus akutem Stress chronischer Stress, der als gesundheitsgefährdend einzustufen ist. Es handelt sich um eine Fertigkeit, Stress dann zuzulassen, wenn er akut benötigt wird. Durch systematische Phasen der Regeneration bzw. der Pausengestaltung muss eine Chronifizierung der Stressreaktion vermieden werden.
  • Das Stresserleben ist von den Ressourcen anhängig. Damit der akute Stresspositiv und als Herausforderung erlebt werden kann, sind (physische, technische, taktische, mentale und soziale) Ressourcen unbedingte Voraussetzung.

Das Erleben einer Wettkampfsituation als akuter Stress, der positiv (Eustress) und als Herausforderung erlebt wird, kann man auch mit dem Zustand der Kompetenzerwartung in der unmittelbaren Wettkampfsituation vergleichen, welcher als ein erstrebenswerter Zustand sein sollte.

Wie dieser Zustand mit entsprechenden sportpsychologischen Interventionen erreicht werden kann, wird Teil des nächsten Beitrages sein.

Optiemierung der Wettkampfleistung II

Die physiologische Perspektive: Stress – ein (über-) lebensnotwendiges Programm unserer Gene

Als Vater der modernen Stressforschung gilt Hans Selye und er war auch der erste, der die körperliche Stressreaktion systematisch untersuchte. Stress ist kein Spezifikum der modernen Zivilisationsgesellschaft. Er gehört primär zu den Grundbedingungen menschlicher Existenz und ist ein uraltes Programm unserer Gene.

Der Sinn der Stressreaktion ist ursprünglich die Lebenserhaltung durch einen reflexartigen Angriffs- und Fluchtmechanismus. Die Stressreaktion ist folglich ein natürlicher Überlebensmechanismus, der beim Menschen vorprogrammiert ist. In Gefahrensituation ist es dem Organismus möglich, sekundenschnell Energiereserven zu mobilisieren. Innerhalb kürzester Zeit ist der Mensch kampf- oder fluchtbereit. Dieser Vorgang wird als Alarmreaktion des Körpers bezeichnet und läuft automatisch, reflexartig und unbewusst ab.

Biologische Prozesse der Stressreaktion

Die in unserem Körper ablaufenden Stressreaktionen laufen nach einem festgelegten Muster ab. Bei dem Stressvorgang wird ein höchst komplexer dreistufiger Reaktionsmechanismus, bei dem verschiedene Körperfunktionen ähnlich wie bei der Kampf- und Fluchtreaktion ablaufen. Nach Selye (1981) läuft die körperliche Stressreaktion immer nach dem folgendem Schema ab:

Seyles Stresstheorie

Alarmreaktion

Der Organismus weist die für die erste Einwirkung des Stressors charakteristischen Veränderungen auf. Es kommt zu einer Aktivierung des Sympathikus. Dies hat zur Folge dass das Hormon Adrenalin ausgeschüttet wird.

Phase der Resistenz (Widerstandphase)

Das Widerstandsniveau gegen den Stressor steigt deutlich über das Normalniveau an.

Phase der Erschöpfung

Kommt es zu einer Einwirkung des gleichen Stressors, an welchen sich der Organismus bereits angepasst hat, über längere Zeit anhält, erschöpft sich schließlich die Anpassungsenergie.

Die wichtigste Erkenntnis Selyes ist, dass der Organismus auf Stress immer mit der gleichen Art und Weise reagiert. Es kann also sehr unterschiedliche Stressoren geben, aber es gibt nur eine Art und Weise der Stressreaktion. Stress ist demnach eine unspezifische Reaktion des Organismus auf jegliche Anforderung. Unser vegetatives Nervensystem spielt bei dieser körperlichen Stressreaktion eine entscheidende Rolle. Es besteht aus zwei großen Gegenspielern: dem Sympathikus und dem Parasympathikus

Sympathikus

Die Sympathikusaktivierung versetzt den Körper in eine hohe Leistungsbereitschaft und bereitet ihn auf außergewöhnliche Anstregungen vor. Im besonderen Maße bei Agriffs- und Fluchtverhalten. In diesem Zusammenhang wird das Hormon Adrenalin ausgeschüttet, dessen Hauptfunktion in der Anpassung des Herzkreislaufsystems und des Stoffwechsels an stressbedingte Belastungen hat. Physiologische Reaktionen sind u.a. die gesteigerte Herzfrequenz, der Blutdruck steigt, die Muskulatur spannt sich an, die Luftröhre und die Pupillen weiten sich. Zusätzlich bewikrt die Ausschüttung des Adrenalins die Bereitstellung von Zucker und Fetten für den höheren Energiebedarf. Alle Körperfunktionen, die nicht für eine schnelle Reaktion auf diesen Reiz erforderlich sind, werden herunter gefahren. Unter anderem werden die Schmerzwahrnehmung gehemmt und die Verdauung verlangsamt. Neben Adrenalin wird durch die Aktivierung des Sympathikus auch der Neurotransmitter Noradrenalin ausgeschüttet. Ebenfalls wie das Arenalin bewirkt dieser Transmitter die Steigerung des Blutdrucks und steuert die mentale und physische Stressanpassung. Es steigert die Motivation, die Aufmerksamkeit und die geistige Leistungsbereitschaft.

Parasympathikus

Der Gegenspieler des Sympathikus ist der Parasympathikus. Durch ihn werden alle Vorgänge hervorgerufen, die Ruhe, Erholung und Regeneration begünstigen. Der Parasympathikus aktiviert Systeme des Wachstums und der Reproduktion. Seine umgangsprachliche Bezeichnung als „Ruhenerv“ kommt daher, dass er den Stoffwechsel reguliert und dem Aufbau der körpereigenen Reserven dient. Physiologische Anpassungserscheinungen sind u.a. eine Verringerung der Herzfrequenz, eine Sekung des Blutdrucks und eine Entspannung der Muskulatur. Neben dem Adrenalin gibt es noch ein weiteres wichtiges Stress-Hormon, das Cortisol. Neben der Stoffwechselaktivierung zur Energiegewinnung wirkt Cortisol schmerzreduzierund und hemmend auf die Immunabwehr. Im Gegensatz zu Adrenalin, das schnell gebildet und auch wieder abgebaut wird, wird Cortisol auf Vorrat gebildet und zwar vorwiegend in der zweten Nachthälfte und steht morgens maximal bereit. Im Laufe des Tages sinkt dieser Spiegel langsam ab, so dass am Ende des Tages nur noch ca. 10% des Morgenwertes vorhanden ist (Guyton, 2000).

Das Zusammenspiel der Stresshormone Adrenalin und Cortisol sowie dem Neurotransmitter Noradrenalin ist fein aufeinander abgestimmt und gibt ein Gefühl dafür, welche Reaktionen ein Ungleichgewicht in diesem Zusammenspiel auslösen kann. Ein Cortisolüberschuss kann u.U. zu Stoffwechselstörungen führen, wohingegen ein Mangel an Cortisol zu Entzündungen, Antriebsschwäche und Energielosigkeit führt.

In diesem Teil der Reihe „Optimierung der Wettkampfleistung“ wurde ein kleiner Einblick in die physiologische Stressreaktion des Körpers gewährt. In dem folgenden Teil der Beitragsreihe beschäftigen wir uns mit der psychologischen Persektive des Stressgeschehen, um abschließend mögliche Interventionstrategien ableiten zu können, um zum Wettkampf seine „peak performance“ abliefern zu können.

Optimierung der Wettkampfleistung Teil I

„Leistung wenn es darauf ankommt“

Im optimalen Fall sollte der Sportler in der Lage sein zum Wettkampfhöhepunkt, sprich zueinem fest definierten Zeitpunkt, sein Leistungsmaximum abzurufen. Interessanterweise haben jedoch viele Sportler egal ob auf Bezirks- oder Weltniveau gerade damit ein Problem: Insbesonders dann, wenn es darauf ankommt, wenn der sportlicher Erfolg wichtig ist, stören unzweckmäßige Gedanken und Vorstellungen den Bewegungsablauf wie folgendes Beispiel zeigt:

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Beispiel Asafa Powell:

„Nach einer nur vierjährigen Sprinterlaufbahn lief Asafa Powell 2005 seinen ersten 100-Meter-Weltrekord: 9,77 Sekunden. Im darauf folgenden Jahr gelang ihm die gleiche Zeit noch zweimal. Im September 2007 brach er dann mit schier unglaublichen 9,74 Sekunden seinen eigenen Rekord. Damit stellte Powell als erster Athlet überhaupt vier offiziell anerkannte Weltrekorde auf. Als Powells Stärke gilt sein explosionsartiger Start. In der zweiten Hälfte der Kurzdistanz ist seine Sprinttechnik durch eine gute Kombination von langen und schnellen Schritten gekennzeichnet. Für den Film wurden von Powells Sprint Aufnahmen mit HD-Hochgeschwindigkeitskameras und modernsten bioanalytischen MRT- und Ultraschallverfahren aufgezeichnet. Aus diesen Bildern wird deutlich, dass Powell seine explosive Geschwindigkeit seinem außergewöhnlich kräftigen großen Lendendarmbeinmuskel (M. Psoasmajor) und ausgesprochen harten Sehnen an den Beinen verdankt. Ebenfalls in der Psyche des Sprinters sucht der Film nach Erklärungen. Asafa Powells athletischer Körper ist für den Sprint wie geschaffen, doch Goldmedaillen und olympische Ehren blieben dem Sprinter Powell bisher versagt. Die Frage ist, warum gewinnt er keine großen Wettkämpfe? Spezialisten erklären dies damit, dass Powell möglicherweise an muskulärer Koaktivierung leidet, einem oft durch Extremstress verursachten Phänomen: Wenn ein Läufer unter großem psychischen Druck steht und sein Gehirn seinen Muskeln befiehlt, sich immer schneller zu bewegen, kann es durch diese Signale zu einer Störung der natürlichen, rhythmischen Muskelaktivierung kommen.“

Das Beispiel von Asafa Powell zeigt, dass es Spitzensportler mit herausragenden konditionellen und auch konstitutionellen Voraussetzungen gibt, die Schwierigkeiten haben, zum Wettkampfhöhepunkt dieses Potential auch in einer entsprechenden Leistungen abzurufen und umzusetzen.

Erklärt wird dieses Phänomen zum einen damit, dass störende Gedanken, wie Zweifel, mögliches Scheitern etc. die Bewegungsausführung stören. Aber auch ein zu starkes „Wollen“ führt zu kontraproduktiven neuronalen Reaktionen (siehe das Phänomen Koaktivierung), die den eigentlich automatisierten Bewegungsablauf massiv stören können.

Um mit entsprechenden psychologischen Verfahren und Methoden eine optimale Wettkampfvorbereitung zu unterstützen, sollen zunächst kompakt die wesentliche Punkte des psychologischen und physiologischen Stresserlebens in den in Kürze folgenden Beiträgen im Einzelnen dargestellt werden.